Aufmerksame Leser haben natürlich gehorsam John Grierson’s Night Mail geschaut und sind nun in der Lage, Bezüge zum Thema des heutigen Eintrags zu ziehen. Vor einigen Tagen nämlich habe ich Janek Schaefer’s Werkschau im Bluecoat besucht und, wie gewohnt, Photos und Eindrücke konserviert. Schaefer’s Kunst lässt sich vielleicht am ehesten mit jener Carsten Nicolai’s vergleichen, zieht man ihre Arbeitsgebiete und Materialien in die Betracht, wobei Schaefer’s Arbeiten stärker mit Bezügen sowie der eigenen Biographie spielen. Am deutlichsten sichtbar wird die thematische Nähe der beiden in der Arbeit Extended Play: ein polnischer Walzer mit biographischem Bezug wird in die drei Stimmen seiner Instrumentierung segmentiert, und diese drei Stimmen auf jeweils drei Schallplatten in unterschiedlicher Geschwindigkeit abgespielt.
Diese Arbeit erinnert stark an den bausatz noto ∞ von Nicolai, spielen doch beide mit der Unvereinbarkeit von Einmaligkeit und Reproduktion innerhalb der Logik des Materials. Ähnliches gilt sicherlich auch für die Variationen von Plattenspielern, die in der Werkschau gezeigt werden.
Ebenfalls beeindruckt hat mich die Arbeit Covers, ein 26 Minuten langes Video, welches Motive verschiedener Plattencover montiert, während die Soundspur Musik aus Samples derselben Platten spielt. Auditive und visuelle Motive verschränken sich oder stoßen einander ab, schaffen etwas Neues aus der zerfasernden Ontologie der Schallplatte – eine Idee so simple wie die Aussage von Schuld und Sühne, zumindest ähnlich durchschlagend. Eine weitere zündende Idee, und hier kommt wie eingangs erwähnt Night Mail ins Spiel, schlug sich in Schaefer’s Recorded Delivery nieder. Der Künstler sandte lediglich ein Päckchen mit laufendem Tonbandgerät an seine Londoner Gallery, das Ergebnis bedeutete eine über 15 Minuten lange Aufnahme des Postweges inklusive Stimmen der Postarbeiter, Radio im Hintergrund, Maschinenlärm und whatever. Die Aufnahme entwirft ein Raumverständnis der einzelnen Stationen, lässt sich also als höchst abstrakte Auseinandersetzung mit Klang und Raum verstehen, verliert jedoch nicht den dokumentarischen Realismus des Grierson’schen Vorgängers aus dem Blick. Genaugenommen kann man von Blick natürlich nicht sprechen, vielmehr hat Schäfer die filmische Idee in ein ausschließlich auditives Medium transponiert.
Ebenfalls ansprechend fand ich das Inner Space Memorial von Schaefer. Die Lautsprecher inwendig montiert sendet es durchdringende Sinustöne aus, das Ganze einem Kriegerdenkmal ähnlich aufgebockt. Das Memorial ist eine Referenz an den Schrifsteller J.G. Ballard, der in seinen Büchern eine Prosa entwickelt, die nur unzureichend als Science Fiction bezeichnet werden kann. Ballard selbst sprach immer von einem Inner Space, daher die nach innen sendenden Lautsprecher. Was genau mit Inner Space gemeint ist, versteht man durch die Lektüre von The Unlimited Dream Company, der Geschichte des „Fliegers“ Blake, in der auch ein War Memorial eine zentrale Rolle spielt. Nicht vielmehr, aber auch, ist das Inner Space Memorial aber ein denkmal für Ballard selbst, der in diesem zuende gehende Jahr an Krebs verstarb.
Resümierend kann man sagen, die über die hier besprochenen Werke hinausgehende Ausstellung lohnt sich anzuschauen, ebenso wie Nicolai und Ballard auch. Hier noch einige Fotos:
(Blogger‘ Schattenriß)